Callcenter sind nicht social

Callcenter sind nicht social

Kundenanfragen aus Social Media im Callcenter beantworten? Bei diesem Thema scheinen die Emotionen hochzugehen: Sind Callcenter nicht tot oder zumindest von gestern? Können wir unterbezahlten externen Dienstleistern unsere wertvollsten – weil jungen – Kunden anvertrauen?

Zu diesem Thema gab es jüngst einen lesenswerten Beitrag der i-Service Intiative. Der Autor Rainer Kolm kommt zu einem harschen Urteil: “Das Callcenter spielt im Rahmen dieser Plattformen keine Rolle“. Social Media sei eben kein Kanal im Kundenservice, neue Organisationseinheiten seien zu gestalten, um glaubwürdiger in den sozialen Medien auftreten zu können.

Wir wollten posten – und ernteten Service.

klämriskEine kleine Zeitreise ins Jahr 2010: die Älteren werden sich noch erinnern: Marketers rund um den Globus entdeckten Facebook als Plattform, um die Kundinnen von Damenbinden, Bioprodukten und atomfreiem Strom auf ewig an ihr frisch “geliketes” Unternehmen zu binden. Nach den ersten drei Gewinnspielen passierte es: Kunde A wollte wissen, warum die Abschlagsrate zweimal vom Konto gebucht wurde, Kundin B hat angeblich viereinhalb Minuten in der Warteschlange verbracht und Exkunde X teilte mit, er habe dem Unternehmen aus sehr detailliert geschilderten Gründen den Rücken gekehrt.

Man sähte Botschaften, erntete aber Serviceanfragen und Beschwerden.

Der Kunde nervte, aber diesmal konnte kein Agent den Anruf ins Nirvana weiterleiten. Die ganze Welt konnte zusehen, was A, B und X über das Unternehmen dachten und nahm Anteil an ihrem Schicksal. War es da nicht konsequent, die Social-Media-Anfragen im Contact-Center (“Call-Center” nahm man nicht mehr in den Mund, man war ja nun “multi-kanal”) beantworten zu lassen, dem Hort der effizienten Kundenbetreuung?

Social Media = Kanal fatal?

Ist also Social Media nur ein weiterer Kommunikationskanal wie Anruf, E-Mail oder Chat? Und was macht man mit Kundenanfragen, die einen auf diesem Weg erreichen? Die heutigen Prozesse und Beteiligten im Kundenservice sind kaum auf diese Herausforderung vorbereitet:

  1. Social Media mit uninformierten, unterbezahlten Agenten zu kombinieren, ist zum Scheitern verurteilt. Für Social Media gilt noch mehr als für traditionelle Kundenkontakte: die Zitrone ist ausgepresst! Die Beantwortung dieser Kontakte erfordert qualifizierte Mitarbeiter mit Insiderwissen, die die Sprache und Ausdrucksweise des Kunden spiegeln können.
  2. Es gibt keine Social-Media-Interaktion an sich. Twitter, Facebook, YouTube, Communities sind Kommunikationskanäle mit spezifischen Eigenschaften, und wollen differenziert behandelt werden. So wird zum Beispiel unterschiedlich vom öffentlichen in den geschützten Bereich gewechselt, und nur dort sollten persönliche Daten ausgetauscht werden.
  3. Nicht jeder Anfrage auf Facebook muss vom Unternehmen beantwortet werden. Hier liegt der große Unterschied zum Contactcenter: Social Media ist kein 1:1-Kontakt zwischen Kunde und Kundenbetreuer. Der Kundenbetreuer wird zum Moderator von Diskussionen und zum Mediator von Konflikten.

Der Tod des Callcenters ?

Ist Social Media also der Dolchstoß ins Herz des Contactcenters? Ich denke, es gibt gute Gründe, Kontakte aus den sozialen Medien in den bestehenden Kundenservice einzubinden:

  1. Das Contactcenter ist der zentrale Teil des Unternehmens, der Wissensträger zur Lösung von Kundenanfragen ist. Die Agenten wissen zum Beispiel, in welchem Fachbereich eine bestimmte Anfrage platziert werden sollte. Sie haben die entsprechenden Wissensdatenbanken und bekommen als erste Krisensymptome, wie ausgefallene Mobilfunkmasten oder fehlgeschlagene Rechnungsläufe, mit.
  2. Kunden parallelisieren immer stärker ihre Anfragen. Eine Beschwerde auf Facebook kann durch einen frustrierenden Telefonanruf des Kunden im Servicecenter ausgelöst worden sein. Dann folgt eine E-Mail und der Versuch, im Chat auf der Webseite das Problem zu lösen. Kommunikationssilos sind das Letzte, was der Kunde erwartet.
  3. Last-but-not-least ist das Contactcenter der Ort der Messbarkeit und Effizienz. Social Media ist in besonderem Maße geeignet, Stimmungen von Kundengruppen  systematisch zu erfassen. So treten neue, ungewohnte Kennzahlen neben den traditionellen eines Contactcenters auf, die das Bild eines Unternehmens auf seine Kunden abrunden.

Social Media im Contactcenter? Die Antwort ist ein klares Ja-aber! Allerdings wird sich der Begriff des Contactcenters wandeln – weg vom Effizienzoptimierer lästiger Serviceanfragen hin zum Anwalt des Kunden im Unternehmen; Casemanager übernehmen die Verantwortung für Kundenanliegen anstatt sie nur weiterzureichen. In diesem Sinne ist das alte Contactcenter tot – und wird durch agilere Serviceeinheiten abgelöst.

Photo by Anthony Intraversato on Unsplash

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