In Callcentern glühen seit Corona noch mehr die Drähte als ohnehin. Die Onlineangebote der Unternehmen werden immer besser angenommen, die Kunden emanzipieren sich digital, und zugleich steigt auch der Bedarf an Kommunikation – in allen Kanälen (*). Das zusammen mit dem Weg der Mitarbeiter ins pandemisch abgesicherte Homeoffice hat Kundenservice-Organisationen ganzschön an die Grenzen gebracht. Die spannende Frage ist: was spüren die Outsourcer davon? Wie verändert sich die Situation der Auftraggeber und welche Chancen entstehen?
Zunächst einmal spricht sehr viel für das Outsourcing von Call- und Contactcenter-Dienstleistungen: Es ist billiger und flexibler und mit dem passenden Partner klappt es auch mit der Qualität. Soweit die Theorie. Der Outsourcing-Markt müsste also blühen, denn die Krise fordert genau das: Flexibilität, die Kosten im Griff und mehr Qualität für mehr Kundenbindung (ein freundliches Lächeln, die eine gelungene Interaktion im richtigen Moment, können da den entscheidenden Unterschied machen). Angesichts der stark wachsenden Anfragevolumen bei den Unternehmen ist allerdings die prognostizierte Wachstumsrate (CAGR) von 3 Prozent für 2020-2025 im internationalen Contactcenter-Outsourcing-Markt eher enttäuschend. Woran kann das liegen?
Bremsen des Wachstums
Andreas du Plessis, CEO des Dienstleisters BFS Baur Fulfillment Services, diagnostiziert, dass „Kunden immer autonomer werden und viele Services selbstständig übernehmen wollen“. Das beträfe vor allem die notwendige und sinnvolle Automatisierung von wiederkehrenden Anfragen. Natürlich helfen die Kundenservice Experten der BFS ihren Kunden gerne dabei, das bestmöglich umzusetzen. Die Realität scheint zu zeigen: das zahlt sich für die Dienstleister nicht aus – entweder, weil diese Services nicht gefragt sind, sie zu wenig einbringen, oder beides.
Kurz: Für Outsourcer stellt sich unter diesen neuen Bedingungen die Mehrwertfrage. Werden sie als kompetenter Partner für umfassendere Services mit größerer „Fertigungstiefe“ wahrgenommen, die sowohl gelungene Automatisierung, Personalisierung als auch empathischen Dialog umfassen? Warum nicht und wie können Sie das ändern? Denn die grundlegenden Vorteile des Outsourcings für Auftraggeber gelten weiterhin. Unternehmen würden sich zukünftig umfassenderes Knowhow einkaufen, das flexibel, schnell und insgesamt preiswerter als in Eigenleistung im Zugriff ist. Eine höhere Kunden- und Endkundenzufriedenheit und damit auch -Bindung sind zu erwartende Effekte, auf der Basis von konsistenten, gelungenen End-2-End-Kundenerlebnissen. Also: wie kann das gelingen?
Neue Wege
Diese Fragestellung hat eine technische und eine fachliche Dimension: Damit Outsourcer überhaupt in die Bereiche Automatisierung und Personalisierung des Serviceangebots vordringen können, also ihre Fertigungstiefe mit Mehrwertwert für die Auftraggeber vergrößern, brauchen sie zunächst einmal den souveränen Zugriff auf eine eigene technische Infrastruktur. Nur dann können Sie mehr tun als z. B. Anrufe im Überlauf von Lastspitzen zu bearbeiten oder als erweiterte Werkbank auf der Infrastruktur der Auftraggeber zu funktionieren. Sie müssten also ihren Auftraggebern „Customer Experience as a Service“ bieten können. Das war bis vor kurzem ein Privileg der großen Outsourcer. In Zeiten von einfach verfügbarer und wirkmächtiger Software aus der Cloud schwindet dieser Vorteil und kleinere, spezialisierte Anbieter könnten ihr Serviceangebot umfassender ausgestalten – das Vertrauen ihrer Auftraggeber vorausgesetzt.
Wenn die fachliche Expertise und der Return-on-Experience (ROX) im Vordergrund steht, anstatt Average-Handling-Time und Minutenpreis, verändert sich der Dialog mit Auftraggebern. Auf einmal werden bereits funktionierende Anwendungsfälle, die als Teil einer bereits optimal gedachten Customer Journey aufgesetzt werden, interessant. Auftraggeber müssen das Rad nicht neu erfinden (lassen). Sie dürfen auf die Kompetenz der Dienstleister aus vielfachen Kundenprojekten vertrauen und damit schneller mit neuen und besseren Services am Markt sein – ohne an Individualität verlieren zu müssen. Unter Umständen kann sogar das erfolgreiche Servicekonzept selbst wie ein für die Endkunden sichtbares und verlässliches (nicht einfach „gekauftes“) Gütesiegel funktionieren: „Powered by XYZ“. Kompetente Outsourcer könnten Standards in ihrer jeweiligen Nische setzen, gewissermaßen Auftraggeber „zertifizieren“ oder die Serviceleistung mithilfe eines Ampelsystems nach außen sichtbar machen. Nur so als Idee 😉.
Der Anfang einer Reise.
Auf der Basis von konkreten Marktentwicklungen, die im Detail sicher differenzierter zu betrachten sind, haben wir in diesem Artikel einen ersten, gemeinsamen Blick in eine mögliche Zukunft für Contactcenter-Outsourcer und deren Auftraggeber geworfen. Das ist immer ein Wagnis! Aber sicherlich ein lohnendes für diejenigen, die den Mut für den ersten Schritt haben und von dort aus weitergehen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Mai 2021 auf dem Blog der i-Service Initiative.
(*) Siehe „Hat Corona die Call-Center verändert?“ und „Corona-Blues im Call-Center?“ mit O-Ton aus diversen Contactcentern der Finanzbranche (Quelle: CallCenter4Finance)
(**) Dirk Egelseer war auch Gast in meiner BoXenstopp-Expertenrunde zum Thema Erfolgreiche Customer-Experience mit BPO „light“ – der Weg für Callcenter-Dienstleister aus der Preisfalle? (inkl. Aufzeichnung der Sendung – so als Appetithappen!)
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