Ein Thema macht die Runde: Weltweit erscheint der Begriff 2008 auf der Bildfläche, seit 2013 werden immer mehr Artikel über Customer-Journeys veröffentlicht.
In diesem Blog gab ich Ende 2013 Michael Sann ein Video-Interview dazu, und der Artikel ist einer unserer meistgelesenen. Als Service-Designer / Business-Consultant freue ich mich darüber, wenn Methoden der Kundenzentriertheit sichtbar werden. Die Kehrseite ist jedoch, dass teils nichts als alter Wein in trendigen neuen Schläuchen ausgeschenkt wird. Und davon bekomme ich Kopfschmerzen.
Sie lernen in diesem Artikel die sechs größten Missverständnisse zu Customer-Journey-Mapping kennen – und wie diese Methode Ihnen hilft, Services erfolgreich zu gestalten – wenn sie richtig verstanden wird…
Was ist nochmal Customer Journey Mapping?
Bevor wir zu den Missverständnissen kommen, schulde ich Ihnen eine kurze Definition. Ach ja: In der Kürze liegt die Würze, daher steht in diesem Artikel außerhalb von Überschriften CJ für “Customer-Journey” und CJM für “Customer-Journey-Mapping”.
- CJM ist eine Methode, mit der Dienstleistungen gestaltet werden.
- Sie zeigt auf einen Blick und strikt aus der Kundenperspektive (outside-in), wie ein Endkunde seine Interaktionen mit einer Organisation erlebt. Vom ersten Interesse bis sein Anliegen erledigt ist. Wenn mehrere Endkundenperspektiven prototypisch gebündelt werden sollen, kommen oft auch Personas zum Einsatz.
- Persönliche und medienvermittelte Kontakte aller Art sind gleichsam im Blick.
- CJM-Darstellungen nennen oft auf der horizontalen Achse die Ziele und Schritte des Kunden und die entsprechenden Kontaktpunkte (Touchpoints) und Erfahrungen mit einem Unternehmen.
- Die vertikalen Achse zeigt häufig die Höhe der Kundenzufriedenheit an jedem Punkt der Journey. Der Betrachter kann so recht schnell die Dramaturgie der Service-Erlebnisse erfassen.
- Entscheidende positive oder negative Interaktionen werden als sogenannte Kipp-Punkte (Moments of Truth) in der Zufriedenheitskurve dargestellt (die Sternchen).
- CJM lässt sich ganz rational einsetzen, um Service-Brüche zu diagnostizieren, so dass sie möglichst schnell gekittet werden können. Aus der Unternehmens-Innensicht (inside-out) sind diese manchmal nicht zu erkennen.
- CJM erlaubt es Service-Designern aber auch, dem Team spannende Geschichten darüber zu erzählen, wie es sich anfühlt, Kunde zu sein und wie sich die wechselnden Nutzungskontexte auf das gesamte Service-Erlebnis auswirken. Aus diesem Blickwinkel entstehen auch komplett neue Service-Ideen, die einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verschaffen.
Nun aber wie versprochen zu Missverständnissen und problematischen Umdeutungen, über die ich in den letzten Jahren gestolpert bin. Mir geht es dabei nicht um Begriffsklauberei! Ich möchte dafür werben, dass diese potenziell sehr erhellende Methode nicht unter die Räder alten Denkens kommt.
Platz 6: Eine Customer Journey ergibt sich direkt aus vorab definierten Kundenservice-Prozessen.
Andersherum wird ein Schuh daraus! Nur ungewöhnlich kundenzentrierte Organisationen nehmen schon eine konsequente Endkunden-Perspektive ein, während sie ihre Service-Prozesse aufsetzen. Schaut man mit Hilfe von CJM, wie Endkunden wirklich mit einem Unternehmen interagieren, so hat man eine Chance, blinde Flecken zu erkennen und so Lücken, Widersprüche und Absurditäten in bestehenden Service-Prozessen aufzuheben.
Die Konfrontation mit der Realität stellt oft den aktuellen Zustand infrage. Nur wenn eine Organisation diese temporär schmerzhafte Phase sucht, aushält und Service-Whistleblowern dann die Macht gibt, etwas zu verändern, kann sie einen Schritt voran machen.
Platz 5: Wir ziehen uns mit ein paar Kollegen einen Tag lang in einen Meeting-Raum zurück, dann bekommen wir die relevanten Customer-Journeys schon definiert.
Egal, wie empathisch die Beteiligten sind und wie geübt sie darin sind, die Kundenperspektive einzunehmen: Es geht nicht ohne echtes, ehrliches Kundenfeedback aus erster Hand und ohne wirklich in den Schuhen der Kunden gegangen zu sein. Das kann auch mit Hilfe von Tagebuchstudien, Einzelinterviews, Online-Befragungen oder Social-Media-Techniken geschehen.
Sabotieren Sie nicht den Erfolg Ihres Vorhabens, indem Sie annehmen, Sie könnten über Ihren Schatten springen und hinter Ihren eigenen blinden Fleck schauen. Sie werden nur dann im Brustton der Überzeugung auftreten und Glaubwürdigkeit ausstrahlen, wenn Ihre Beobachtungen solide erhoben sind.
Platz 4: OMG! (*) Wir machen jetzt unser ganzes Service-Design mit Customer-Journey-Maps!
Enthusiasmus für diese Methode in allen Ehren, aber CJM ist vor allem geeignet, Service-Bruchpunkte zu diagnostizieren und einen Leitfaden für das Storytelling zu finden. Die Maps sind aber nicht detailliert genug, um zu planen, wie Service in der Zukunft erbracht werden sollte.
Eine zielgenaue Diagnose macht noch keinen Therapieplan!
Es gibt bessere Darstellungen, um komplette Prozesse mit allen Stakeholdern und beteiligten Systemen zu zeigen, zum Beispiel Service-Design-Blueprints. Ich finde, man sollte CJM als Empathie-Werkzeug nutzen und andere, detailliertere Analyse- und Prototyping-Werkzeuge wählen, wenn es ans Konzept geht. Sonst kommt entweder eine viel zu komplizierte CJM oder ein lückenhaftes Service-Konzept heraus.
(*) “Oh my God” (Urban Dictionary)
Platz 3: Die Arbeit an Customer-Journeys macht von Anfang bis Ende Spaß.
Die Beschäftigung mit CJM ist idealerweise der Weg zu mehr Empathie mit Endkunden. Das klingt erst einmal gemütlich. Weit gefehlt! Konsequentes Von-außen-nach-innen-Denken kann sich auch anfühlen wie ein Tritt in den Hintern angesichts fauler Service-Kompromisse. Es macht Fässer wieder auf, die man gerne dauerhaft verschlossen und weggesperrt hätte.
Journey-Maps helfen aber auch, eine Schockwelle durch die Organisation zu schicken, damit alle ihre Köpfe aus den Silos strecken, weil es offensichtlich so nicht weitergehen kann. Journey-Maps können das entscheidende Instrument sein, mit dem das Buy-In erzielt wird, den Wechsel zu wagen und zu betreiben.
Wie bei vielen Veränderungs-Prozessen muss es gefühlt schlimmer werden bevor es besser wird. Journey-Maps sind Treiber für solche Veränderungsprozesse und damit sicher keine uneingeschränkter Spaß.
Platz 2: Service-Erlebnisse designt man entlang von Customer-Journey-Maps.
Mir ist diese Sichtweise zu einfach. Erlebnisse lassen sich gar nicht direkt designen. Kunden erleben Service auf eigene Faust. CJM ist dazu da, den Blick von Service-Designern, Produktmanagern und Entscheidern zu schärfen. Nur so können sie einen Rahmen dafür schaffen, innerhalb dessen ein positives Service-Erlebnis möglich wird. Konzepter und Designer machen den Weg frei, aber den Weg beschreiten die Kunden selbst.
Das ist nicht defensiv gemeint! Ich warne einfach vor einer selbstherrlichen Haltung. Mich erinnert das an Apples Reaktion auf die iPhone 4 Empfangspanne:
“You’re holding it wrong!”
Nur weil es Ihre Kunden sind, sollten Sie sich nicht anmaßen, zu definieren, wie ein Erlebnis zu wirken hat.
Platz 1: Es gibt die eine, gültige Customer-Journey.
Wer so denkt, schert alle Endkunden und alle Nutzungskontexte über einen Kamm. In den wenigsten Fällen können Sie sich aussuchen, wer, mit welchem Anliegen, wann, in welchen Schritten mit Ihnen in Kontakt tritt. Gerade diese Vielfalt ist es, die zu Kommunikations-Brüchen führt, wenn Standardprozesse versagen und “Ausnahmefälle” auftreten.
CJM ist ein Instrument, das dabei hilft, die Vielfalt und ihre Auswirkungen zu sehen. Daher empfinde ich es als sehr ironisch, wenn Journey-Maps nur für wenige Standardprozesse erstellt werden.
Trauen Sie sich, einen Schritt in die schmutzige, individuelle Realität zu machen! Ein Bündel von Journey-Maps, aus dem Blickwinkel verschiedener Endkunden, mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Motivationen, zu verschiedenen Geschäftsvorfällen sollte es schon sein. Und gewöhnen Sie sich auch nicht zu sehr an Ihre Journeys, denn das Rad dreht sich weiter, und die Ansprüche sowie der Markt verändern sich.
Nach dem Journey-Mapping ist vor dem Journey-Mapping!
Kennen Sie noch weitere Missverständnisse, was Customer-Journeys angeht? Teilen Sie sie bitte mit den anderen Lesern in einem Kommentar zu diesem Post.
– Ein Beitrag des ehemaligen Kollegen Sven Körber
(Bildnachweis: Luca Zanon / unsplash)
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