Kann man Service-Erlebnisse designen?

Der Dirigent des Service-Design-OrchestersImmer, wenn ich den Begriff „Experience Design” in Unternehmenspräsentationen lese, nagt etwas an mir. Vielleicht ist es zynisch, aber ich unterstelle, dass die Haltung, aus der heraus er verwendet wird, viel mehr mit der Unternehmens-Innensicht zu tun hat als mit dem Erleben der Kunden. Der Begriff spiegelt ein wohliges Gefühl der Endnutzer-Nähe, egal wie siloartig und eisig sich das resultierende Serviceerlebnis auch darstellt. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie man mit einem ernst gemeinten Perspektivwechsel vorankommt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 29.7.2014 im i-Service-Blog.

Service-Erlebnisse kann man nicht verordnet bekommen, sondern nur persönlich erfahren

Meiner Meinung nach lassen sich Service-Nutzungserlebnisse nicht direkt gestalten oder managen, da sie beim Einzelnen über die Zeit hinweg entstehen. Er interagiert mit anderen Menschen und Systemen, nimmt die Ergebnisse vor seinem Erfahrungshintergrund wahr und interpretiert sie. Dabei ist der Benutzer in eigenen, vielfältigen Kontexten unterwegs. Ein ähnliches begriffliches Problem thematisiert Enterprise 2.0-Urgestein Michael Fauscette in seinem Artikel “Engagement or Experience?” (link).

Ein Beispiel: Wenn die Service-Experience gute Unterhaltung durch ein Klassik-Live-Konzert ist, sind die Akteure, die diese Experience hervorbringen, die Musiker auf der Bühne sowie Bühnenbildner und Techniker dahinter. Die Kunden wären hier die Zuhörer im Konzertsaal. Ihre Wahrnehmung des Konzertes bestimmt, ob sie der Service-Experience etwas abgewinnen können und ihr Abo verlängern. Als Experience-Designer verstehe ich in dieser Gemengelage am ehesten den Komponisten und den Dirigenten, der das Orchester zur gemeinsamen Höchstleistung führt. Auf einer allgemeineren Ebene gibt es noch die Intendanten, Dramaturgen oder Kuratoren des jeweiligen Hauses, die die künstlerische Richtung vorgeben. Ganz zu schweigen von allen, die die Architektur und Infrastruktur der Räumlichkeiten verantworten oder betreiben.

Der Dirigent / Experience-Designer allein kann in dieser Gemengelage die Experience des einzelnen Zuhörers nicht bestimmen: Der eine Besucher kann sich nicht konzentrieren, weil der Nebenmann gerade Zwiebeln gegessen hat, dem anderen zieht es bei jeglicher Musik des 20. Jahrhunderts die Schuhe aus, ein weiterer ist extra 500 km angereist, weil er der Solistin seit Jahrzehnten hinterherschmachtet, wieder ein anderer hat das absolute Gehör und folgt den Phrasen Ton für Ton. Vier völlig unterschiedliche Erlebnisse!

Menschen sind eben keine Marionetten, bei denen ein allwissender Puppenspieler nur an den richtigen Fäden ziehen muss, um verlässlich ein präzise spezifiziertes Erlebnis zu reproduzieren. Die Wahrnehmung des Kunden ist der einzig relevante Bezugspunkt, und diese ist von vielen Dingen abhängig. Nur einige davon kann man als Unternehmen sicher kontrollieren. Insofern ist erst einmal Bescheidenheit angesagt!

Was kann ein Experience-Designer tun, wenn direkte Eingriffe nicht funktionieren?

Einmal sollte er sich genau ansehen, wie das aktuelle Nutzungserlebnis eines Services sich über die Zeit entwickelt, um zu verstehen, wo es aus Kundensicht Hoch- und Tiefpunkte gibt. Die Methode der Wahl hier ist das Customer-Journey-Mapping, bei der man in den Schuhen des Kunden geht (Artikel und ein Interview dazu). Negative Kipp-Punkte aus diesen Journeys zu tilgen ist sicher ein wichtiger Schritt. Zum Beispiel könnte es skeptischen Konzert-Besuchern helfen, in einer kurzen Einführung zu hören, wie ein Stück des 20. Jahrhunderts denn aufgebaut ist, in welchem Kontext es entstand und was der Komponist im Sinn hatte – das erhöht zumindest die Chance, ihnen einen neuen Zugang zu eröffnen.

Nur die subjektive Gesamt-Wahrnehmung der Service-Nutzer zählt

Journey-Detail-Troubleshooting ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Es ist einfach noch zu punktuell und berücksichtigt nicht, dass die Service-Experience auch eine Dramaturgie hat. Außerdem gilt es häufig, Abwägungen zwischen positiven und negativen Service-Erlebnissen zu treffen. Nicht alle negativen Erlebnisse lassen sich eliminieren, und nicht immer geht das um jeden Preis. Glücklicherweise stellt die Verhaltensforschung fünf Daumenregeln bereit, die dabei helfen, Rahmenbedingungen für besonders zufrieden stellende Service-Prozesse zu setzen.

Fünf Daumenregeln für gute Service-Erlebnisse

  1. Negative Erlebnisse an den Beginn stellen
    Wenn ihnen als Konzertveranstalter klar ist, dass der Komponist des 20. Jahrhunderts die älteren Abonnenten eher verschreckt, dann sollten Sie genau diesen Beitrag als erstes ins Programm nehmen. Andere Erlebnisse werden diesen Beginn übertreffen, die Gesamt-Zufriedenheit steigt.
  2. Fassen Sie negative Erlebnisse zusammen und verteilen Sie die positiven
    Wenn Sie mehrere potenziell schwierige Erlebnisse in ihrer Journey haben, dann sollten Sie diese zusammenfassen; in der Summe werden sie weniger schwerwiegend erscheinen. Wenn es also in der Konzertpause Schlangen am Getränke- und dem CD-Stand gibt, sollten Sie überlegen, beides am gleichen Verkaufstand anzubieten, mit nur einer Schlange. Auch wenn die Schlange dadurch insgesamt nicht kürzer wird, ist zweimal zu warten in der Regel deutlich weniger beliebt als einmal länger zu warten! Wenn Sie mehrere kleine Höhepunkte in ihrem Konzertprogramm haben, streuen Sie diese über das Konzert. Dabei ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile! Insgesamt sollten sie eine Dynamik aufbauen, bei der spätere Erlebnisse im Vergleich zu den früheren immer besser werden, und das führt uns auch zum nächsten Punkt.
  3. Enden Sie mit einem besonders positiven Erlebnis
    Service-Kunden erinnern sich tendenziell an Höhepunkte eines Service-Erlebnisses und das Ende davon. Insofern sollten Sie sicher gehen, dass die Zugabe ein echter Höhepunkt ist, und dass selbst die Garderobe und die Parkhaus-Abwicklung besonders komfortabel ablaufen. Sparen Sie sich also immer Zuckerl für das Ende auf, auch wenn Sie dafür vorher Kompromisse eingehen müssen!
  4. Etablieren Sie Rituale und folgen Sie ihnen konsistent
    Ein Konzert-Besuch ist für Abonnenten in der Regel schon gut durchstrukturiert. Geben Sie ihnen dauerhaft Sicherheit, was wann passiert. Wenn es z.B. einen Einführungsvortrag gibt (Sie erinnern sich an den Neuton-Verweigerer von vorhin), dann sollte der immer zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden. Wenn dieser immer mit einem bestimmten, passenden Zitat oder Motto endet, prima. Überraschen Sie durch die Qualität der einzelnen Darbietungen, nicht durch Abweichungen in Ablauf. Sollten Sie das Format komplett verändern wollen, gehen Sie schrittweise vor.
  5. Lassen Sie die Kunden wählen, das verstärkt das Engagement
    Wenn Sie Ihren Besuchern das Gefühl geben, selbst Einfluss auf das Service-Erlebnis nehmen zu können, sind diese fröhlicher und fühlen sich besser. Das gilt auch dann, wenn dieser Einfluss  eher klein ist. In unserem Konzertbesuch-Beispiel könnte das bedeuten, den Besuchern die Wahl zu lassen, ob sie an einem bestimmten Termin eher Symphonie A oder B hören möchten, oder ob Dozent C oder D den Einführungsvortrag halten soll.

Diese Prinzipien haben sich in verschiedenen Kontexten bewährt, vom Krankenhaus bis zum Vergnügungspark. Sie garantieren zwar nicht, dass jedes einzelne Service-Erlebnis wie erträumt abläuft. Sie erhöhen aber Ihre Chancen, bei Kunden zu punkten. Wir sind gern dabei behilflich, Ihre  wichtigsten Journeys zu durchleuchten und diese Prinzipien auf Ihre Geschäftsziele hin anzuwenden – z. B. mit dem Ziel, die Zufriedenheit ihrer Kunden zu steigern. Wenn Sie da in Ihrer Service-Organisation Potenzial sehen, freuen wir uns über eine Nachricht an sven.koerber[at]brightone.de

  • Wenn Sie darüber hinaus Lust bekommen haben, tiefer in dieses Thema einzusteigen, empfehle ich Ihnen die Bücher von Dan Ariely, zum Beispiel „Predictably irrational. The hidden forces that shape our decisions“ (Amazon)
  • Auch sehr lesenswert ist der Artikel „Want to Perfect Your Company’s Service? Use Behavioral Science“ im Harvard Business Review (link)

Bildnachweis: James Jordan via photopin cc

– Ein Beitrag des ehemaligen Kollegen Sven Körber

Leave a Reply

Your email address will not be published.

11 − acht =