Digitalisierung & Bots: Fake-News? Nachklapp zu unserem Kundentag 2017

Digitalisierung & Bots: Fake-News? Nachklapp zu unserem Kundentag 2017

Wir erleben eine mediale Breitseite durch das Thema Digitalisierung – bis in die Politik hinein. Unternehmen und jeder Einzelne sind aufgefordert, sich ständig an neue Bedingungen anzupassen. Auf und abseits der Bühne unseres Kundentags 2017 fiel das Wort Digitalisierung ebenfalls öfter – und natürlich “Künstliche Intelligenz” (KI). Unser diesjähriges Motto am 28. September in München lautete schließlich: “(Don’t) believe the Hype – was bleibt, was kommt?“. Aber: stellen wir uns überhaupt die richtigen Fragen?

“Digitalisierung” ist zu einem inflationären Begriff für alles und nichts geworden. Manager bekommen Jobs mit Titeln, die das genannte Unwort oder “Digitale Transformation” beinhalten, aber mit wenig konkreten Jobbeschreibungen ausgestattet sind. Unternehmen müssen da halt was machen (oder zumindest den Eindruck vermitteln). Organisation, Technik, Kultur, Geschäftsmodell. Irgendetwas davon muss angefasst werden, um effizienter und erfolgreicher zu werden. Digital Labs entstehen oder es wird gleich ausgegründet, da das bestehende Unternehmen gar nicht flexibel genug ist, die notwendigen Veränderungen mitzumachen.

Es kann einem richtig schwindelig werden.

Auf unserem Kundentag fokussierten wir uns auf die Konsequenzen für Kundenservice. Und da sind Künstliche Intelligenz und Bots die Stichworte. Was verändert sich da, aber was bleibt auch? Wir haben einfach mal inne gehalten und Luft geholt. Zunächst einmal ein Überblick…

Das gesprochene Wort bleibt wichtig

infinIT.cx-Kundentag 2017 Welter,, Genesys“Zwar nimmt die Nutzung digitaler Kanäle schnell zu, aber auch die Interaktionen insgesamt – dadurch bleibt das gesprochene Wort wichtig” gab Heinrich Welter, VP Sales & General Manager DACH bei Genesys, in seiner Keynote zu bedenken. Zu einer gelungenen Omnikanal-Umsetzung gehören allerdings leistungsfähige Natural-Language-Understanding-Lösungen (NLU), die das gesprochen Wort zuverlässig digitalisieren und Bedeutungen extrahieren.

Welter gestand zwar der Künstlichen Intelligenz (KI) zu, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Automatisierung leisten kann und wird, bezweifelte aber, dass sie ein Allheilmittel ist. Es sei noch nicht geklärt, ob die eine, umfassende KI das Rennen machen wird, oder doch eher spezialisierte Lösungen (“Best-Fit-for-Purpose AI”). Chatbots müssen ihr wahres Potential erst noch beweisen. Laut Welter müssen verschiedene Chatbots parallel nutzbar sein und im Zweifelsfall einfach wieder “entlassen” werden können (“Hire & Fire”). Und es müsse immer möglich sein, an einen menschlichen Mitarbeiter zu übergeben (“Blended AI”).

Für den Kunden, abseits reiner Effizienz

Kundentag 2017 UtechtDiesen Auftrag bekam Friederike Utecht (Kundenerlebnisdesign, Deutsche Telekom Service GmbH) und etablierte mit Kollegen kundenzentrierte Rückrufstrategien im Servicecenter. Mit ihrem charmanten Vortrag hat Frau Utecht verdeutlicht, wie beglückend es sein kann, gerade nicht an der letzten Effizienzschraube zu drehen, sondern den Kunden und seine Bedürfnisse in den Fokus zu nehmen. Kunden wurden befragt, einiges ausprobiert und gelernt. Die Idee ist einfach: anstatt Kunden in der Warteschlange der Hotline warten zu lassen, bekommen sie einen Rückruf angeboten. Es gab viele interessierte Nachfragen aus dem Publikum.

Forschung & Entwicklung heißt heute Digital Lab

Unser Lead Cogniteer Stefan Holtel teilte mit uns seine Erfahrungen, die eher bei der Vodafone Pilotentwicklung (VPE) gemacht hat. Die Anzahl sogenannter Digital Labs nimmt rapide zu (Tipp: Googeln Sie mal nach “Digital Lab”, eingeschränkt auf ein Jahr!). Sie werden einer der Trends der kommenden Jahre sein. Laut Holtel hieß das in den 1990ern Forschung & Entwicklung (F&E, R&D). Heutige Digital Labs seien mehr von Daten getrieben (oder betrieben) und sollen schneller marktreife Entwicklungen ausspucken. Die Digital Labs werden laut Holtel ebenfalls im Wesentlichen Geld kosten, seien aber notwendig. Holtel warnte davor, eine andere Erwartung zu haben und belegte das mit Beispielen der Vodafone Pilotentwicklung.

Die IVR lebt

Olaf Steffen, Projektmanager Customer Service Systems & Innovation bei Telefónica Germany GmbH & Co. OHG, teilte seine Erfahrungen, die er bei der Zusammenführung der Sprachportale von E-Plus und Telefónica gemacht hat. Die Kundenperspektive konsequent einzunehmen, sei der Schlüssel zum Erfolg gewesen – Automatiserung & Effizienz hin oder her. Das geht bis hin zu der situativ und zum Anrufer passenden Tonalitäten der verwendeten Stimmen. Die offene Eingangsfrage ist konsequent umgesetzt. Es gab mehr Arbeit, Kundenzufriedenheit und Ersparnisse als vorher gedacht. Wesentliche Erfolgsfaktoren für dieses Projekt spielen laut Steffen auch für den Einsatz von Bots im Kundendialog eine Rolle.

Damit war die Grundmelodie für die anschließende Diskussion, ob der Bot-Hype für eine Renaissance der IVRs sorge, bereits im Raum. Die Diskutanten warnten vor überzogenen Erwartungen. Egal ob IVR oder Bot: eine gelungene Umsetzung bedeute Aufwand. Auf dem Weg dahin Neues zu lernen, sei unabdingbar. Bots seien keine Wunderwaffe und lassen sich nicht einfach so “einschalten”.

Neue Zeiten, neue Werkzeuge, neue Rollen

Joachim Gielnik, Managing Partner & Directo bei der effution GmbH, zeigte auf, warum es notwendig ist die IT-Entwicklung und den Betrieb in Form der sogenannten DevOps zusammenzulegen, oder als BusinessDevOps die Business-Perspektive einzuschließen. Die IT-Projekterfolge seien seit 20 Jahren erschreckend schlecht – und das konstant. Das beträfe Zeit & Budget, (Nicht-)Erfüllung der Zielvorgaben und Projektabbrüche. Allerdings erfordern die Digitalisierung und DevOps einen kulturellen Wandel der Organisation. Es genüge nicht, nur die bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten zu nutzen. Die möglichen Automatisierungen im kompletten Prozess, von der Idee bis zur Auslieferung, müssen gewissermaßen ausgehalten werden können.

Wichtig ist, was beim Anwender ankommt

Kundentag 2017 - Stefan GrünznerStefan Grünzner, Geschäftsführer infinIT.cx GmbH, griff zum Schluss erneut das Motto des Kundentags auf. Künstliche Intelligenz könne zwar in klar abgegrenzten (Spiel-)Welten wie dem Online-Videospiel Dota 2 die menschlichen Gegner deklassieren (auf eine sehr beeindruckende Weise), aber wirkliche Kreativität entstehe nur im Tandem mit dem Menschen. IBM Watson könne zwar sehr beeindruckend unterstützen, den Trailer zum Kinofilm “Morgan” zu erstellen, aber die letztendlichen Entscheidungen traf ein Mensch.

Abseits des sicherlich interessanten, technisch Machbaren, sollten wir laut Grünzner, den Nutzer im Blick behalten und nicht automatisch den Verlockungen der Automatisierung anheim fallen. Kundenservice habe etwas mit Menschen zu tun. Services gehörten wie Produkte entwickelt – vom identifizierten Kundenbedürfnis über Prototypen und Minimal-Viable-Products (-Services) bis hin zum Roll-out. Das gelinge mit Expertise, Spaß an Innovationen, der Möglichkeit des kontrolliertem Scheiterns und gesundem Menschenverstand.

Der Showroom: etwas zum “Anfassen”

Kundentag 2017 ShowroomIm Showroom konnten wir dieses Jahr mehr Demopoints zeigen als zuvor. Auf großes Interesse stießen Genesys GAAP (Genesys App Automation Platform), unsere im polnisch-deutschen Digital Lab entstandene Omnikanal-App für Banken, die u. a. Instant Messaging mit Amazon-Alexa-Spracheingabe und einem Rückrufangebot miteinander verbindet.

Erstmalig waren mit Genesys, b.telligent und Cyara Partner auf unserem Kundentag vertreten. Unser neuer Partner Cyara präsentierte mit uns Lösungen zur Automatisierung von Tests in der Customer-Experience. Als Appetithappen empfehle ich ihnen den Artikel “Testen? Aber bitte automatisch” von Michael Sann im Blog der i-Service-Initiative.

Es war also viel geboten! Bis hin zu den “Magic 7”, einer Arbeit der Designerinnen Veronika Peters und Jenny Gallen über die sieben Prinzipien resilienten Designs, die sich nicht nur auf schöne anfassbare Dinge beschränken. Auch Organisationen oder Services können schließlich widerstandsfähig “designt” werden.

Digitalisierung & Bots: Fake-News, oder nicht?

Mein persönlicher Nachklapp zum Kundentag

Die Segnungen der Informationstechnologie begleiten uns schon seit ein paar Jahrzehnten und können bereits als Digitalisierung verstanden werden. Es wäre aber falsch so zu tun, als habe sich trotzdem zwischenzeitlich nichts geändert. Stefan Holtel zeigte z. B. auf, wie sich im Bereich Forschung & Entwicklung die (erwarteten) Innovationszyklen drastisch verkürzt haben. Es passiert einfach immer mehr in immer kürzeren Zyklen.

Doch wie schnell ist zu schnell (für den Menschen)? Wer profitiert? Auf wessen Kosten? Ein Blick von außerhalb der IT nimmt eine bedenkenswerte Perspektive ein:

Alle reden von Digitalisierung. Führen sie etwas im Schilde?

Beachten Sie bitte ein sonderbares Phänomen und eine besondere Parallele: im Vorfeld der Agenda 2010, der Riester-Rente, der Steuersenkungen für die Spitzenverdiener und Unternehmen redeten sie alle von Globalisierung und abwechselnd vom demographischen Wandel als angeblich völlig neuen Phänomenen.

Die Beschädigung der Arbeitslosenversicherung und der Gesetzlichen Rente wurde auf diese Weise vorbereitet. Was ich damals beobachtet und in „Die Reformlüge“ als Denkfehler und Mythen beschrieben habe, erscheint wie ein Déjà vu, wenn seit einiger Zeit aus dem Mund von Spitzenpolitikern immer wieder zu hören ist, die Digitalisierung sei die größte Herausforderung unserer Zeit.

Albrecht Müller (Herausgeber der nachdenkseiten.de)

Das nennt man “Agenda-Setting”. Und sicherlich nicht zu Lasten der Arbeitgeber. Die Reaktionen der Leser sind auch interessant – z. T. auch von Menschen mit langer IT-Erfahrung.

Digitalisierung mit gesundem Menschenverstand

Amish Car

Die Technologien sind da. Aber wie setzen wir sie vernünftig ein? Stefan Grünzner führte in seinem Vortrag den gesunden Menschenverstand ins Felde. Kürzlich stieß ich daran anknüpfend auf den Blogartikel Approach Technology Like the Amish. Die Glaubensgemeinschaft der Amischen ist als technologiefeindlich verschrien. Es lohnt ein genauerer Blick (Zitat):

[The amish] start with the things they value most, then work backwards to ask whether a given technology performs more harm than good with respect to these values.

Sie setzen zwar neueste, computergesteuerte Fräsmaschinen ein (weil sie es sinnvoll finden), besitzen aber z. B. überwiegend keine Autos. Es gibt in jeder Gemeinschaft Technik-Freaks. Sie sind also nicht per se technologiefeindlich. Ihre Werte haben allerdings viel damit zu tun, dass Ihre Gemeinschaft weiterhin funktionieren können muss. Mit Autos zum Beispiel könnten sich Mitglieder leichter (und nicht nur physisch) von der lokalen Gemeinschaft entfernen: sie kaufen eher woanders ein, treffen weiter entfernt wohnende Bekannte, auf Kosten der lokalen Community.

Es geht mir nicht darum, den Glauben der Amischen zu bewerten oder gar Autos als Teufelswerk zu betrachten. Aber erst wenn wir wertebasiert auf das technisch Machbare schauen, können wir erkennen, was Technologie mit dem Menschen, mit seinem Menschenbild und der Gemeinschaft der Menschen macht.

Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung […] macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.

Martin Heidegger, aus “Die Frage nach der Technik”, in “Vorträge und Aufsätze” (1954)

Sind nun Digitalisierung und der Hype um Bots Fake-News?

Nein. Die Konsequenzen sind in der Tat weitreichend. Es geht allerdings um mehr als Technik. Es ist Zeit, die richtigen Fragen zu stellen. Antworten gibt es viele, aber meiner Meinung nach auf die falschen Fragen.

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Foto-Nachweis: Horse Power by frankieleon (Flickr)

 

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