In unserer neuen Serie Contactcenter-Basics wollen wir technischen und organisatorischen Aspekten des Kundenservice auf den Grund gehen. Bewusst geht es in dieser Reihe weniger um die Hype-Themen wie Customer-Journey, Cognitive Computing oder Omnichannel-Kommunikation, sondern um das, was im Gartner Hype Cycle schon auf der rechten Seite angekommen ist, und – manchmal zu Unrecht – nicht im Fokus der medialen Aufmerksamkeit steht. Heute: die Mandantenfähigkeit.
Mandantenfähigkeit oder neudeutsch “Multi-Tenancy” ist die Fähigkeit einer Software, verschiedenen Einheiten zu dienen, die sich zwar eine Plattform teilen, aber nichts miteinander zu tun haben und auf keinen Fall Daten der anderen Mandanten zu sehen bekommen. Warum kann dies wichtig sein ?
- in der Cloud: jede Plattform in der Cloud muß per Definition mandantenfähig sein. Ein Provider betreut die Plattform, sichert die Daten und stellt die Verfügbarkeit sicher, während eine Vielzahl von Anwendern geschützt voneinander die Plattform nutzen.
- in der Service-Organisation: der Trend, IT-Organisationen auszulagern, hat dazu geführt, dass diese nicht mehr exklusiv für einen Kunden arbeiten, sondern am Markt aktiv werden. Von diesen Organisationen betriebene Plattformen müssen mandantenfähig sein.
- im eigenen Unternehmen: doch auch wenn eine Software nur Inhouse genutzt wird, ist eine – zumindest im Prinzip – mandantenfähige Lösung eine Option: Unternehmen sind heute kein monolithischen Einheiten, sondern ständigen Umstrukturierungen unterworfen: abgespaltene Firmenteile nutzen teilweise dieselbe IT-Infrastruktur, sollen aber strikt vom Kernunternehmen getrennt werden.
Was beinhaltet Mandantenfähigkeit ?
Eine mandantenfähige Software besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen:
- Der eigentlichen Service-Software, mit der ein Provider neue Mandanten erstellen kann, die Konfiguration vornimmt und gemeinsam genutzte Ressourcen verwaltet.
- Die mandanten-spezifischen Komponenten können von Administratoren des jeweiligen Mandanten verwaltet werden. Dieser Teil wird in der Regel spezifische Integrationen mit Fremd-Software des jeweiligen Mandanten beinhalten. Im mandanten-spezifischen Teil können sowohl eigene Applikationen wie auch die spezifische Konfiguration enthalten sein.
Das mandantenfähige Contact Center
Übertragen auf das Contactcenter ergeben sich spezielle Anforderungen an die Mandantenfähigkeit, die im Einzelfall nicht ganz einfach zu erfüllen sind:
- Die Voice-Infrastruktur (Anbindung an Telefonprovider, Gateways, Media-Streaming, IVR) wird in der Regel zwischen den Mandanten aus Kostengründen geteilt. Dennoch müssen die in den Komponenten anfallenden Daten (Rufnummern der Kunden, in der IVR erhobene Werte) streng von anderen Mandanten verborgen werden.
- Verschiedene Mandanten können teilweise die gleichen Kunden haben. Reporting und Kontakthistorie sollten pro Mandant aufgesetzt sein oder sich auf einen Mandanten filtern lassen, um hier den Datenschutz zu gewährleisten.
- In der Regel werden Infrastrukturkomponenten wie Email-Server, Webserver, Instant-Messaging, SMS Gateway oder IT-Schnittstellen sich zwischen den Mandanten nicht überlappen. Die entsprechenden Integrationskomponenten sollten also pro Mandant vorhanden und konfigurierbar sein.
- Teilen sich zwei Mandanten eine der o. g. Lösungen wird es in der Regel komplex: Ein Beispiel aus der Praxis ist die Anbindung mehrerer Mandanten, die eine gemeinsame Microsoft-Lync-Infrastruktur haben und diese ins Contactcenter integrieren wollen. Hier müssen unter Umständen dieselben Lync-Benutzer in unterschiedlichen Mandanten mehrfach angelegt werden.
Vorsicht: Wenn Mandanten stören statt nützen
Multi-Mandanten-Lösungen zerteilen eine Plattform für immer und unwiderrufbar. Fusionieren Mandanten, so führt dies zu einem erheblichen Konfigurations- und Integrationsaufwand, da die bisher getrennten Konfigurationen in einem bestehenden Mandanten zusammengeführt bzw. in einem neuen Mandanten angelegt werden müssen – eine teure und langwierige Migration steht ins Haus. Ist also absehbar, dass zwei Mandanten ihre Geschäftsbereiche eines Tages zusammenlegen wollen, sollte man darüber nachdenken, ob eine aufgegliederte Berechtigungs-Hierarchie nicht die einfachere Lösung ist. Diese Berechtigungen zu pflegen, ist allerdings komplexer und dadurch aufwändiger als mit getrennten Mandanten.
Mandanten können auch zu starker Fragmentierung einer Plattform führen. Teilen sich viele zahlenmäßig kleine Mandanten eine Plattform, so kann der Aufwand, einen neuen Mandanten anzulegen, ineffektiv werden. In diesem Fall müssen Datenschutzanforderungen und Kosten der Mandantenpflege miteinander abgewogen werden.
Alternativen zur Mandantenfähigkeit: Berechtigungen, Virtualisierung
Setzt man im Contactcenter eine nicht mandantenfähige Lösung ein, gibt es dennoch Möglichkeiten, diese “durch die Hintertür” herzustellen:
- mandantenbezogene Berechtigungen: innerhalb der Konfiguration werden die Objekte (z. B: Agentengruppen, Routepoints, Applikationen, Schnittstellen) Berechtigungsgruppen zugeordnet, die diese anlegen, ändern, lesen oder löschen dürfen. Eine solche Konfiguration bildet dann die Mandantenstruktur ab. Mandantenbezogene Berechtigungen haben den Nachteil, dass sie einerseits mit weiteren Aspekten wie der Hierarchie innerhalb der Mandanten konkurrieren und damit komplex und schwer zu durchblicken sind. Dies kann zu Fehlkonfigurationen führen, die den Schutz der Kundendaten untergraben können.
- Virtualisierung: Auf einer virtualisierten Umgebung lassen sich durch Klonen neue Mandaten generieren. Dieser Ansatz hat den Charme, dass die Mandanten automatisch perfekt getrennt sind, erhöht aber den Aufwand – und damit die Kosten – für den Provider der Plattform. Zudem ist es schwierig, gemeinsam genutzte Komponenten in einer solchen Plattform zu betreiben.
Was tun?
Ist Mandatenfähigkeit ein Thema in der Organisation bzw. bei der Beschaffung einer Plattform, so sind wie oben angedeutet eine Reihe von Aspekten zu beachten. Dies beinhaltet organisatorische und technologische Themen. Ohne eingehende Beratung ist hier schnell eine Entscheidung getroffen, die nachträglich erhebliche Kosten verursacht.
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