Politikerlügen in Zeiten der Denkmaschine – kognitive Computer leisten “Bürgerservice”

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American inventor Leonarde Keeler (1903-1949) testing his lie-detector on Dr. Kohler, a former witness for the prosecution at the trial of Bruno Hauptmann (Wikimedia)Etwas Launiges zum Wochenende. Ein Vortrag von unserem Querdenker Stefan Holtel auf dem Zündfunk Netzkongress 2014 (“Don’t Panic”). Achtung: Off-Topic mit kognitiver Erweiterung.

“Die Menschen lügen unsäglich oft.”(Nietzsche)

Wir spüren es täglich, Misstrauen mäandert durch die Welt der Medien. Wo man auch hinsieht, ergießt sich die Lüge: sie tropft aus der Werbung, dem Reality-TV und den Politikerdebatten.

Der Mensch lügt oft. Schätzungen pendeln zwischen zwei und 200 Mal – pro Tag. Und wer weiß, ob das überhaupt stimmt, denn es gilt: “Traue nur der Statistik, die Du selbst gefälscht hast!”. Von der Lüge und ihrem großen Bruder – dem Betrug – haben die Medienkonsumenten schon lange genug.

Als Lüge gilt das bewusste, das vorsätzliche Abändern der Wirklichkeit. Lügner wissen, was sie tun. Sie sagen nicht einfach etwas Falsches, weil sie es nicht besser wissen. Das wären im besseren Fall nur Nichtwisser, im schlechteren Fall einfach Idioten.

Wer betrügt, der fliegt? Lügen haben kurze Beine? Dafür kommt man heute verdammt weit auf seinen Stümpfen. Provinzpolitiker ins Parlament, Opportunisten ins Ministeramt, Überlebenskünstler zur KanzlerInnenschaft. Das Gefühl, von Politikern angelogen zu werden, ist für so viele von uns zum Normalzustand geworden: Steuersenkungen werden angekündigt und wieder einkassiert. Repräsentanten brechen ihre Eide und versinken in Plagiatsskandalen. Wahlversprechen diffundieren zu homöopathischen Dosen, sobald wir die Wahlkabinen verlassen haben.

Politiker aller Parteien vagabundieren durch die Medien und erzählen uns alles – außer den nackten Fakten. Man muss noch nicht mal den täglichen Nachrichten folgen. Stimmt es, was der Politiker in einem Facebook – Post behauptet? Glauben Sie, was in seinem nächsten Tweet steht? Ist es plausibel, was er auf der Wahlkampfbühne deklamiert? Vielleicht wollen Wähler lieber belogen werden. Und darum schrillt auch keine Klingel, wenn wieder ein Politiker treuherzig in die Kamera blickt – und lügt.

Neue Wahrheitsdetektoren

Aber vielleicht wäre genau so ein Alarm ein Fortschritt? Fragen wir also pragmatisch: Wenn die Politiker schon nicht ehrlicher werden, was können wir tun, um sie als Lügner zu entlarven?

Die Forschung baut elektrische Geräte, um Lügner in flagranti zu ertappen. Menschen werden verkabelt, Lügendetektoren messen ihren Herzschlag und ihren Hautwiderstand. Psychologen entdecken darin die Lüge. Manchmal klappt das, oft auch nicht.

Und überhaupt: es wäre wohl unangemessen, wenn dem Politiker in der Live-Schalte die Drähte aus dem Körper sprießen, bevor die erste Silbe seinen Mund verlässt. Wir sitzen ja nicht etwa zu Gericht, sondern sehen lediglich zu, wie eine erregte Nachrichtensprecherin versucht, den Minister in die Ecke zu treiben. Und es geht ja meist gar nicht um den Wahrheitsgehalt des Gesagten, sondern um die Show und den Aufreger.

Aber wenn es doch mal um die Wahrheit ginge? Dann gäbe es bald eine Lösung. Die Apologeten technischer Machbarkeit verkünden, dass uns bald Denkmaschinen im Nacken sitzen. Sie werden jedes Satzstück zerpflücken, das unsere Zunge formt. Den Wahrheitsgehalt im selben Moment prüfen. Widersprüche augenblicklich aufdecken.  Ungedachte Interpretationen liefern. Alternativen offerieren.

Sollten sich die Verheißungen sogenannter “Kognitive Computer” erfüllen, dann werden wir tatsächlich eine neue Epoche in der Computergeschichte eröffnen – mit ungeahnten Folgen. Computer haben wir bisher gleichgesetzt mit digitalen Rechenknechten. Ob Abakus, Rechenschieber oder Tabellenkalkulation. Alles Automaten für stupide Zahlenoperationen. Kognitive Computer dagegen verheißen enzyklopädisches Wissen auf Nachfrage, die Interaktion in natürlicher Sprache, das Verstehen selbst widersprüchlicher Information und vieles Wundersame mehr.

Algorithmen gegen die Verschleierung

Wie würde das die Regeln eines Politiker-Interviews wohl verändern? Der Befragte verschleiert seine Antworten hinter gestelzten Sätzen und zitierten Statistiken und Experten, um seinen Behauptungen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Und die Denkmaschine hielte dagegen: sie analysierte jedes Satzfragment, suchte und fände Quellen und Referenzen, bestätigte Aussagen, verwürfe andere – und alles im nächsten Augenblick. Diese Analyse in Echtzeit relativierte eine Aussage bereits, bevor der Interviewte das nächste Mal Luft geschnappt hätte. Ungeahnt, wie solch ein Mechanismus das politische Interview verändern würde.

Und das wäre erst der Anfang, sobald sich kognitive Computer in den Medienbetrieb der Politik einmischten. Jede Politikeraussage “under control”, unter Inquisition, dank einer Streckbank namens Denkmaschine und einem ausgeklügelten Sortiment kognitiver Folterwerkzeuge, die jedes Wort sezieren könnten.

Und von da an wüsste auch jeder Politiker, woran er ist: An der Wahrheit und nichts als der Wahrheit. Praktisch wäre es also, wenn eine Denkmaschine den Politikern auf die Finger klopfte, sobald sie wahrheitsmäßig übergriffig würden.

Aber auch das hilft wenig, wenn wiederum die Betroffenen Strategien ersinnen, um kognitiven Rechnern den Stecker zu ziehen. Eine Idee formulierte schon Konrad Adenauer in den fünfziger Jahren, lange vor der Ära der Denkmaschinen. Er bemerkte lakonisch: “Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?”

Bild: Wiki Commons, gemeinfrei

Zur Person:

Stefan Holtel ist Programmierer, Technologie – und Strategieberater und arbeitet bei brightONE. Ihn beschäftigen technische, soziale und wirtschaftliche Trends, die Wissensarbeit im digitalen Kundendialog nachhaltig gestalten werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst im eBook zum Zündfunk Netzkongress 2014, das Beiträge weiterer Autoren enthält.

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