Natürlich stehen am Agenten-Arbeitsplatz auch Tee- oder Kaffeetassen. Hauptsächlich steht da aber das Arbeitsgerät schlechthin – der Agent-Desktop. Und der hat es in sich. Da tummeln sich allerlei Applikationen mit unterschiedlicher Bedienerführung und alleine die Anmeldung bei Schichtbeginn kann schon mal 15 Minuten in Anspruch nehmen. Es ist abenteuerlich und immer wieder beeindruckend, an was für “Arbeitshilfen” sich Menschen gewöhnen können.
Bei jedem unserer Business-Consulting-Projekte betrachten wir den Agent-Desktop, und zwar in möglichst vielen Bereichen des Contactcenters. Dabei geht es uns um die Bearbeitungsprozesse. Und es ist teilweise haarsträubend, was wir da so sehen.
Einige Beispiele gefällig?
- Der Klassiker ist der Notizblock auf dem Schreibtisch der Mitarbeiter. Dort werden Name und Kundennummer des Anrufers aufgeschrieben und dann erst eingegeben, weil die Information nicht im System zur Verfügung steht. Oder es wird gleich das ganze Gespräch notiert und in der Nachbearbeitungszeit in die Applikationen eingepflegt, “weil es so schneller geht“.
- Verbreitet sind auch Post-it-Notizen am Rand der Monitore oder Ordner mit häufig benötigten Informationen, Arbeitsanweisungen und Textbausteinen. Zwar sind diese Informationen online zugänglich, aber der Aufruf ist umständlich und dauert zu lange. Bei einer Bank wurde das Problem mit “Klapp-Foldern” gelöst, wie sie auch in Supermärkten üblich sind. Ein Mitarbeiter war dafür zuständig, die Folder aller Kollegen einmal wöchentlich zu aktualisieren. Das heißt nachschauen, was sich geändert hat, in der entsprechenden Anzahl ausdrucken und auf allen Schreibtischen austauschen. Aufwand: 1 Tag pro Woche.
- Bei einem Energie-Versorger waren neben der ICT-Software und Outlook permanent nicht weniger als 7 Masken von SAP IS-U geöffnet. Die Agenten bringen das Kunststück fertig, z. B. Zählernummern der Anrufer während des Gesprächs in mehreren Masken einzutragen. Mit Copy/Paste immerhin, aber trotzdem beeindruckend.
- Die Mandantensoftware eines Contactcenter-Dienstleisters, der für eine ausländische Bank arbeitet: die Bedieneroberfläche ist nur teilweise ins Deutsche übersetzt. Das ist kein Problem, solange in die Masken “N” für “No” bzw. “Nein” eingetragen werden muss. Bei “Si” oder “Ja” zeigt sich, wer ein gutes Gedächtnis hat. Dafür ist das Design total augenschonend: grüne Buchstaben auf schwarzem Grund.
Der Grund für solche Verrenkungen ist einfach: die genutzten Applikationen wurden nicht für einen Einsatz im Callcenter konzipiert. Sie folgen einer inneren Sachlogik und nicht der Benutzerlogik.
Nun, der Mensch ist ein Gewohnheitstier und in der Lage, sich an die widrigsten Bedingungen anzupassen. Was ich nicht verstehe ist das hartnäckige Schulterzucken der Vorgesetzten, wenn wir auf solche “schwarzen Löcher der Effizienz” hinweisen. Denn das sind sie (die Desktop-Applikationen, nicht die Vorgesetzten). Alleine die Hochrechnung, welche Zeitersparnis sich ergibt, wenn alle Agenten sich nur einmal pro Schicht per “Single-SignOon” anmelden, lohnt sich. Oder die Eliminierung der Fehlerquellen, die sich aus der mehrfachen manuellen Eingabe derselben Daten ergeben. Oder der Einarbeitungsaufwand, den manche Systeme ob ihrer “Logik” verursachen.
Die Lösungen dafür gibt es längst,
zugegeben in Form einer zusätzlichen Applikation, an die die vorhandenen Anwendungen via Schnittstelle angedockt werden. Die bestehenden Applikationen müssen dafür nicht verändert werden, sondern laufen wie gehabt weiter. Die darüber liegende Benutzeroberfläche kann individuell an die Nutzerbedürfnisse angepasst werden. Sie bietet dem Bearbeiter für den jeweiligen Prozess die Felder an, die er benötigt – und nur diese. Die Eingaben werden in den verbundenen Applikationen in die richtigen Felder eingetragen.
Die Effizienzgewinne summieren sich zu erheblichen Beträgen, womit sich die Projekte schnell amortisieren. Ganz davon abgesehen, dass es für die Mitarbeiter sicher angenehmer ist, mit so einem System zu arbeiten statt mit einem Sammelsurium verschiedenster Applikationen.
Einige Kundenbeispiele illustrieren die Möglichkeiten:
Was also spricht dagegen, diesen Schatz zu heben?
Ist es die Erfordernis, möglichst geringe Kosten zu verursachen? Das wäre widersinnig, denn hier bietet sich die Chance einer zusätzlichen Optimierung, auch wenn schon an vielen anderen Stellschrauben gedreht wurde.
Oder ist es die Abwehrhaltung der IT-Abteilung, die nicht noch ein weiteres System anschaffen und betreiben will? Das ist sicher ein Argument, schließlich verursacht jede weitere Applikation weitere Projekt- und Betriebskosten.
Dazu kommt eine gewisse Trägheit, andere Projekte sind wichtiger, außerdem “geht es ja auch so“. Mit anderen Worten: die Mitarbeiter haben sich an den vorhandenen Agent-Desktop gewöhnt und die Chefs müssen nicht damit arbeiten…
Frage: Und was halten Sie von dieser Idee: sinnvoll oder nur Geschäftemacherei?
– Ein Beitrag der ehemaligen Kollegin Ingrid Steinmel
Bildnachweis: Wikimedia
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