Warum FinTech-Geschäftsmodelle von Cognitive Computing profitieren

Stefan Holtel, Querdenker bei brightONE Consulting

Ein Interview mit Stefan Holtel, Querdenker bei brightONE Consulting.

Kai Nörtemann: Alle Branchen ächzen unter dem Kostendruck im Kundenservice. Nun mischen FinTechs den Finanzmarkt auf. Woher entspringt ihr Potenzial?

Die FinTechs streifen nicht ziellos durch den Finanzmarkt-Dschungel. Sie erschnüffeln die Honigtöpfe. Die stapeln sich zwar heute bereits im Portfolio jeder Bank oder Sparkasse … aber sie werden nicht abgeschöpft. Nicht von den Kunden und nicht von den Banken.

Algo-Trading macht das jetzt zu vertretbaren Kosten möglich. Und Robo-Advisor geben dem Phänomen einen Namen. Im Kern steckt in Algo-Trading das Versprechen individueller Kundenberatung … auch wenn der Kunde weniger als 1 Mio. Euro anlegen will (und sich nur dann als High-Net-Worth-Individual bezeichnen darf).

FinTechs sind ja Experten für ein recht »spitzes« Domänenwissen. Welche Synergien siehst Du mit anderen Marktteilnehmern, ohne dass ein FinTech seine Alleinstellung verliert?

Ja, Du hast recht. In der Tat sammeln FinTechs ein Domänenwissen, das ein scharf umrissenes Geschäftsfeld umkreist. Deshalb sind die Gründer geradezu gezwungen, nach einer Weile des Wachstums zu expandieren. Denn ihr Erfolg basiert auf Skaleneffekten … und die könnte über kurz oder lang jeder angestammte Anbieter nachäffen. FinTechs sind zur Diversifikation verdammt.

Aber wie? … (grübelt) … ich sehe zwei Wege: Sie müssen sich einerseits eine Nische sichern in einem Ökosystem für Finanzdienste, das da gerade erblüht. Und sich andererseits etablierte Mitbewerber vom Leib halten. Das können sie aber nur, wenn sie skalierbaren Kundendialog liefern. Und das war mit bisherigen Mitteln undenkbar. Kognitive Intelligenz könnte das aber zu vertretbaren Kosten leisten.

Und anscheinend gibt es wirklich noch Luft: Andreas Oehler, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Bamberg, resümierte  kürzlich: Der Anleger bekäme zwar eine Empfehlung, z. B. als Reaktion auf Kursänderungen, Anlagebetrag und -horizont. Aber „erstaunlicherweise kommen trotzdem sehr ähnliche Empfehlungen heraus“.

Das sagt doch sehr viel: Der Anleger bekommt ein Ergebnis, aber seine Gesamtsituation fließt nur geringfügig in die Bewertung ein.

Kunden reagieren höchst sensibel, wenn es um ihre Finanzen geht. Es braucht Vertrauen zum Anbieter. Was ist Deine Perspektive darauf?

Ein leidiges Thema … (seufzt) … ja, natürlich ist das eine Hürde für Kunden … gerade in Deutschland.

Andererseits sind meines Wissens ohnehin alle Geschäftsmodelle von FinTechs durch Kooperationen mit Banken und Fonds abgesichert … zumindest, wenn große Geldvolumen bewegt werden. Diese Unternehmen befinden sich ja bereits in einem Korsett der Bankenregulation. FinTechs treten als Vermittler von Finanzdiensten auf. Damit fällt das Risiko auf den potenten Kooperationspartner zurück.

Die Frage wäre eher, ob und wie FinTechs ihren Kunden dieses Konstrukt plausibel erklären können.

Ist »Cognitive Trading« für Kleinanleger in Sicht? Wird es bald eine demokratisierte Form von Algo-Trading geben? Mutiert der »Day Trader« zum »Robo-Trader«?

Eine interessante Idee … (denkt nach) … für mich spricht einiges dagegen. Gesetzt den Fall, es gäbe einen hoch-intelligenten Robo-Trader … und der arbeitete auch noch zu vertretbaren Kosten:

Erstens wäre er abhängig von qualitativ hochwertigen Datenquellen … und das in Echtzeit. Das wäre aber extrem teuer. Meines  Erachtens würden Day-Trader davor kapitulieren.

Und zweitens braucht es auf unabsehbare Zeit einen menschlichen Experten, den sogenannten „Mensch-in-der-Schleife“ (human-in-the-loop). Denn Deep-Learning-Algorithmen z. B. arbeiten nur bis zu einem Grad zuverlässig. Oft genug muss der Mensch die Maschine korrigieren … und manchmal reicht dazu bereits gesunder Menschenverstand!

Was sich eigentlich ändert, ist das Verhältnis von Mensch und Maschine [Holtel 2015]. Es wird eine neue Balance entstehen: Der Mensch liefert Intuition und Erfahrung, die Maschine Rationalität und Logik. Beide zusammen steigern den Wert jeder Wissensarbeit.

Welche Anwendungsbereiche von Cognitive Computing siehst Du noch – außerhalb von Kundenservice?

Cognitive Computing wird Berge versetzen. Es hat das Potenzial, jede Abteilung in jedem Unternehmen auf den Kopf zu stellen … egal ob Start-up oder Weltkonzern.

In meinem Beitrag für das Buch »Digital Leadership: Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy« habe ich das mal durchgespielt. Ob Kundenservice, Marketing, Forschung und Entwicklung, Controlling, Strategie oder Personalmanagement. Jeder Wissensarbeiter eines Unternehmens wird davon betroffen sein. Niemand bleibt verschont.

Vielmehr wird kognitive Intelligenz „heilige Kühe“ schlachten [Holtel, Özedmir 2014], die Organisationen heute verehren: Entscheidungsgewalt, Personalauswahl, Mitarbeiterführung, Produktentwicklung.

Was versprichst Du Dir als Nutzer vom Einsatz der Robo-Advisor, was wäre als Nutzer Dein Wunschszenario?

In einem idealen Szenario verändert sich die Dynamik des Kundendialogs. 80 Prozent der Beratung würde ich mit einem Robo-Advisor führen … und zwar natürlich-sprachlich wie mit einem Menschen.

Und der lernt täglich dazu: Durch meine Fragen, durch finanzielle Transaktionen, durch meine Lebenssituation … soweit sie sich in meinem Finanzstatus widerspiegelt.

Immer dann, wenn der Robo-Advisor ratlos ist (in vielleicht ca. 20 Prozent aller Fälle), bittet er einen menschlichen Experten um Hilfe. Und der plappert dann nicht einfach nach, was Algo-Banking-Algorithmen ihm ins Ohr flüstern. Statt dessen bringt er sich mit Empathie und zusätzlicher Expertise ein.

So wandelt sich ein Dialog zwischen Kunde und Berater zum »Trilog« zwischen Kunde, Robo-Advisor und einem Experten.

Dann wäre für mich die Transformation geschafft, vom heutigen Kundendialog am Bankschalter zu einem, der die Fähigkeiten maschineller Intelligenz ausschöpft.

Vielen Dank!

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