Wie Lego Serious Play hilft, komplexe Situationen anzugehen

LSP_complex_sk Als zwei Kollegen und ich vor ein paar Jahren als Lego Serious Play (LSP)-Moderatoren zertifiziert wurden, stand vor allem das Praktische im Vordergrund: Wie setzt man einen solchen Workshop für bestimmte Interessenslagen auf? Was hat sich bewährt, wie man ihn durchführen sollte? Wie stiftet man eine nützliche Dynamik in der Gruppe? Wie fühlt sich LSP als Teilnehmer an? Dabei war von Anfang an spürbar, dass sich LSP fundierter Lerntheorien und plausibler neurowissenschaftlicher  Prinzipien bedient (Infos zu LSP hier und hier). Zusätzlich hatte ich vor kurzem die Gelegenheit, tiefer in die Praxis komplex-adaptiver Systeme einzusteigen (Überblicksartikel zum Cynefin-Framework hier, zu Innovation und Komplexität hier, zur Expertenrolle hier). Fünf Aspekte, wie LSP zu komplexen Bereichen passt, zeige ich in diesem Artikel.


1. Lego-Bausteine in ihrer Urform stehen prototypisch für Modularität. Erst ab 1999 kamen kleinere Themenwelten wie Batman, Star Wars, Harry Potter und BIONICLE hinzu. Im Gegensatz zu letzteren bringen die speziellen LSP-Baukästen bewusst keine eigene Themenwelt mit, so dass alles leicht (re)kombinieren und umdeuten lässt. Wenn alles prinzipiell zusammen passt, steht auch in komplexen Umgebungen nichts Innovationen durch Zweckentfremdung entgegen.

2. Ein klassischer LSP-Workshop wird sehr egalitär moderiert. Jeder Teilnehmer baut seine Antwort auf eine Aufgabe, und jeder erhält gleich viel Aufmerksamkeit, die Geschichte zu seinem Modell zu erzählen. Frühe Meinungsführerschaft einzelner ist hier Gift! Damit entsteht für die gesamte Gruppe immer wieder ein sehr diverses Bild aus vielen verschiedenen Blickwinkeln. Das ist in komplexen Umgebungen sehr wichtig, da erfolgreiche komplex-adaptive Systeme ausreichend Vielfalt in der Beobachtungs- und Bewertung brauchen, um das evolutionäre Potenzial des Moments erkennen zu können. Dinge werden in diesem Bereich eben nicht einfach auf Basis der Vergangenheit vorhergesagt und dann von Spezialisten en bloc umgesetzt, sondern sie entstehen aus der iterativen Kollision mit einer immer wieder aufs Neue überraschenden Realität.

3. Bei LSP denken die Teilnehmer mit den Händen. Sie sind inspiriert, einer Idee zu folgen, und diese zu zeigen – aber der Vorgang des Konstruierens bringt sie auch auf neue Ideen. Als Moderatoren motivieren wir immer wieder, mit den Händen durch die Steine zu gehen und zu schauen, was sich ergibt. Wenn der erste Umsetzungsdrang bei einer Aufgabe verflogen ist, verspürt man als Teilnehmer nicht selten zunächst Neugier, einen bestimmten Baustein oder eine Figur auszuprobieren. Wenn man ihn dann in der Hand bewegt, kommt die Idee, wie das zu der Aufgabe passen könnte. Für mich weist das darauf hin, das LSP einen Zugang zum Bauchgefühl schafft, vielleicht sogar einer Lösung, die unter der Oberfläche des eigenen Geistes schon ausgeformt ist. So lässt sich der blinde Fleck beleuchten, die Betriebsblindheit von Experten kontern – essenziell für die Arbeit in dynamischen Kontexten, wo Expertise von gestern das Scheitern von morgen bedingt.

4. LSP zielt nicht darauf, konkrete Abbildungen der Realität zu produzieren, sondern motiviert die Teilnehmer, Metaphern und Begriffe für den Gegenstand in der Gruppe zu teilen. In komplex-adaptiven Systemen funktionieren geteilte Metaphern als Attraktoren. Diese ziehen das Denken und Handeln der Akteure wie magisch an und formen es. Attraktoren sind oft flexibel deutbar – und damit auch ausreichend flexibel für eine dynamische Welt. Wenn Sie eine ganze Landschaft von Metapher-Modellen für die Zusammenarbeit in einem Team auf dem Tisch stehen haben, können Sie die richtigen Anschlussfragen stellen: Was müsste passieren, dass positive Attraktoren im Sinne Ihres Geschäfts verstärkt und negative geschwächt werden? Wie sieht dann die Landschaft aus? Das ist ein viel realistischeres Vorgehen als einen gewünschten Zielzustand einfach zu verordnen; so holt man das System dort ab, wo es steht.

5. Wenn man für die Strategiearbeit nach ein paar Stunden die eigene Firma, ihre Zulieferer, den Markt und den Charakter der Verbindungen zueinander als komplettes LSP-Modell vor sich stehen hat, wird es erst richtig interessant. Solche Modelle haben oft viele bewegliche Teile und sehen messy aus (siehe dazu auch das Aufmacherbild oben). Sie sind nicht elegant-minimalistisch wie ein Toplevel-Org-Chart, aber das ist der vielschichtigen, Multi-Perspektiven-Realität geschuldet. Gerade deshalb bietet solch ein Modell auch die einzigartige Möglichkeit, mittels Ereigniskarten spielerisch zu zeigen, wie sich Kontext-Veränderungen auswirken können: Was verändert sich, und wie, wenn eine Naturkatastrophe ausbricht? Wenn der größte Mitbewerber Konkurs geht? Wenn man gar nichts tut? Die Auswirkungen stellt die Gruppe selbst direkt im eigenen Modell dar (playing emergence). Das ist beste Komplexitätsarbeit mit safe to fail experiments in der komplexen Domäne im Sinne des Cynefin-Frameworks. Die hohe Schule ist es, dann noch auf die Metaebene zu gehen und den Heuristiken auf die Spur zu kommen, die die Teilnehmer am Tisch verwendet haben, um zu entscheiden, wie sie mit dem Modell arbeiten (simple guiding principles). Solche Heuristiken sind mächtige Attraktoren und wahrscheinlich nicht deckungsgleich mit den offiziell diktierten Firmenwerten!

Wie man deutlich sieht, ist Lego Serious Play eine Methode, die perfekt zur Arbeit in komplexen Kontexten passt. Haben Sie Fragen oder Anregungen? Ich freue mich über Kommentare an diesem Artikel.

– Ein Beitrag des ehemaligen Kollegen Sven Körber

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